Warum ich mich gerade jetzt selbstständig mache

Trotz dem aktuellen KI-Hype ist das Potenzial für Automation im Journalismus noch weitgehend ungenutzt. Künftig möchte ich Medienunternehmen dabei unterstützen.

Warum ich mich gerade jetzt selbstständig mache
Bild: Urs Jaudas

Für mich fängt im Mai ein neues Kapitel an. Ich will künftig Medienunternehmen selbstständig dabei unterstützen, Automation und Künstliche Intelligenz (KI) gewinnbringend einzusetzen.

Die Zeit ist reif: Noch nie haben Medien so viel in digitale Innovation investiert wie heute. Das sehe ich in meiner täglichen Arbeit und im Austausch mit zahlreichen Kolleg*innen im In- und Ausland. Und im Unterschied zu damals, als Internet und iPhone auftauchten, behauptet heute auch niemand mehr, KI würde wieder verschwinden. Unsere Branche – das würde ich hier mal optimistisch behaupten – hat dieses Mal die Zeichen der Zeit erkannt und macht vorwärts.

Dabei entstehen jetzt gerade auch für die kleinen und regionalen Verlage neue Möglichkeiten, insbesondere weil die Technologie immer einfacher verfüg- und einsetzbar wird. Das grosse Potenzial wird oft noch nicht im Ansatz ausgenutzt. Hier ein paar Beispiele:

  1. Automatisierte Angebote im Hyperlokalen: Einerseits gibt es immer mehr Daten auf Gemeinde-Ebene. Damit lassen sich unzählige personalisierte, datengetriebene Stücke realisieren, die nah an der Leserschaft sind. Gleichzeitig wird es auch immer einfacher, auf Gemeinde-Inhalte zuzugreifen und diese automatisch oder nach Überarbeitung weiter zu publizieren. Auch die vormals nur analog verfügbaren Amtlichen Publikationen sind in immer mehr Kantonen vollständig digital und standardisiert verfügbar. In Deutschland ist der selbe Trend bei den öffentlichen Bekanntmachungen beobachtbar. Damit kann man ein Angebot schaffen, das viele der lokalen Leser-Bedürfnisse abdeckt und trotzdem relativ ressourcenarm ist – und gleichzeitig mehr menschlichen Fokus auf die brennenden Themen und Recherchen legen.
  2. Effizienzsteigerung im Newsroom: Es fängt an bei Chatbots, die die Redaktion über Publikationen der Konkurrenz informieren oder über die lang ersehnte Datenpublikation auf der Verwaltungs-Website. Es geht weiter mit automatisiert aktualisierten Grafiken zu Börsenkursen, Sportresultaten und Asylgesuchen. Und es hört (nicht) auf bei einem täglichen Briefing zu den aktuell meistgesuchten Begriffen auf Google und Co. zum Zwecke der SEO-Optimierung. Im Sinne von «Kleinvieh macht auch Mist» lassen sich unzählige Routine-Arbeiten erheblich vereinfachen oder komplett automatisieren – oft schon ohne Hilfe der vielbeschworenen KI.
  3. Generative KI für neue Angebote: Der Elefant im Raum. Das wirklich Bahnbrechende an der neuesten Entwicklung im KI-Bereich ist aus meiner Sicht die einfache Verfügbarkeit von leistungsfähigen Modellen. Niemand muss mehr ein Data-Science-Team beschäftigen und eine eigene Server-Farm hochziehen, alle können sofort Prompts ausprobieren und über leistungsfähige Programmierschnittstellen (APIs) neue Applikationen bauen. Wie Tamedia mit der Entwicklung Schritt hält, habe ich hier beschrieben. In den nächsten Jahren wird sich hier ein ganzes Ökosystem auftun, das weit über ChatGPT hinaus geht. Damit lassen sich komplett neue Angebote schaffen und die eigenen Plattformen verbessern. Beispielsweise mit einer Vorlese-Funktion für Artikel oder einer Frage-Antwort-Maschine, die ihr Wissen aus dem eigenen Archiv schöpft. Selbstverständlich kann generative KI auch bei den beiden obigen Punkten auf vielfältige Weise eingesetzt werden.

Wichtig bei all diesen Automations-Unterfangen ist neben technischem Know-How eine ganzheitliche Sicht, die Technologie und Journalismus verknüpft. Sie muss unter anderem folgende Fragen im Auge behalten:

  • Wie finden wir im Dschungel der neuen Möglichkeiten die erfolgsversprechendste Stossrichtung?
  • Auf welche Ziele soll unsere Automation einzahlen? Zufriedenere Leserinnen – oder weniger gestresste Journalisten?
  • Welche Daten stehen uns bereits zur Verfügung? In welchen existierenden Systemen und in welchen Formaten liegen diese vor? Welche Daten müssen wir neu beschaffen?
  • Wie implementieren wir schnell einen Prototypen, so dass wir später mit unseren (beschränkten) Technologie-Mitteln den Sprung in die Produktion schaffen?
  • Wie evaluieren wir den Erfolg einer Automation?
  • Ab wann lohnt es sich überhaupt, Dinge zu automatisieren? Und wie finden wir das heraus?
  • Welche Risiken birgt eine Automation? Können wir diese mit menschlichen Kontrollinstanzen mildern?
  • Wie binden wir existierende Lösungen in unsere bestehenden Redaktionssysteme ein?
  • Welche Menschen interagieren künftig mit unseren automatisierten oder teil-automatisierten Systemen? Wie holen wir diese ab, wie begeistern wir sie dafür? Wie schulen wir sie?
  • Wie kommunizieren wir den Einsatz von KI intern wie extern?
  • Wie definieren und überprüfen wir laufend unsere Richtlinien im Umgang damit?

Wenn ich Tamedia Ende März verlasse, werde ich ziemlich genau zehn Jahre als fest angestellter Journalist, Projekt- und Teamleiter tätig gewesen sein. Etwas mehr als die eine Hälfte der Zeit beim öffentlich-rechtlichen SRF, die andere Hälfte in einem der grössten Schweizer Verlage. Ab Ende 2014 durfte ich für SRF den damals aufkommenden Datenjournalismus mit-etablieren und zahlreiche preisgekrönte Recherchen veröffentlichen. Bei Tamedia ging es weiter mit Projekten, die zum Ziel haben, journalistische Prozesse und Produkte – falls sinnvoll – zu automatisieren. Dort konnte ich auch erste Führungs- und Kadererfahrung sammeln und das Newsroom-Automation-Team aufbauen. Mit einem ständigen Hands-On-Ansatz und weil ich von den Besten lernen durfte, konnte ich zudem mein Software-Entwicklungs-Repertoire gehörig erweitern.

Was sich wie eine rote Linie durch meine bisherige Berufskarriere zieht, ist die Verknüpfung von Journalismus mit Technologie. Ich kenne beide Welten und verstehe mich als Brückenbauer. Als selbstständiger Berater und Entwickler mit Systemwissen möchte ich meine Erfahrung und mein Wissen weitergeben – und neue Erfahrungen machen. Daneben freue ich mich einfach auch sehr auf den Austausch und den Blick über den Tellerrand.

Interessiert an einem Kennenlernen? Zögern Sie nicht, mich für ein unverbindliches Erstgespräch zu kontaktieren: timo(at)timogrossenbacher.ch.